So das wars. Die Blogosphäre ist am Austrudeln und meine Ankündigung des Ausstiegs vor einem Jahr wird nun umgesetzt. Es geht nun wirklich auf tell weiter. Schau ich mir das letzte Jahr selbstkritisch an, so muss ich mir sagen (lassen), dass meine Texte meistens zu tagesaktuell angelegt waren. Das ist auf Facebook oder twitter besser aufgehoben.
Natürlich habe ich mir lange überlegt, was denn nun das letzte Posting sein soll. Und da fiel mir ein ganz altes Langgedicht aus dem Jahr 1994 ein, ein Gedicht, das eine verrückte Hochglanzzeitschrift mit dem programmatischen Titel „Zukunft Berlin“ zum Anlass hatte. Wieviele Ausgaben dieser „Zukunft“ erschienen sind, weiß ich nicht und das damalige Exemplar ist längst wieder mehrfach recycelt. Jedenfalls ist dieses Langgedicht auch damals „tagesaktuell angelegt“ gewesen – und zeigt sich nun in aktueller Zeitlosigkeit.
Was allerdings kaum überraschen kann. Die Wiedererrichtung des Berliner Schlosses – damals mit einer Kunststofffassade marktschreierisch gefordert – ist nun Wirklichkeit. Der „alte Preussentraum“, wie es unten heißt. Und die „Nutzung“ hat sich auch gefunden.
Zu dieser „Nutzung“ als Humboldtforum nur dieses: Was immer auch andere über das sog. Humboldtforum denken mögen, ich benötige es für den Gedanken der Völkerverständigung nicht. Auch ist dieses Forum ja nur das Sekundäre, der mehrheitsversprechende Kitt, mit dem der alte Preußentraum „Berliner Stadtschloss“ zusammengehalten wird, und der vermeintlich keine Widerrede duldet. Manchmal muss man sich nur die timeline der Ereignisse anschauen, um zu entlarven. Die Wiederrichtung des Stadtschlosses wurde bereits 1993 werbewirksam in Szene gesetzt, als es ein sog. Humboldtforum noch gar nicht gab. Deswegen schon verbitte ich mir Hinweise darauf, dass dieses Forum ja guten Zielen dient, man folglich deswegen nichts gegen das alte Berliner Stadtschloss haben könne.
Aber nun mein Gedicht aus dem Jahr 1994. Ich denke, dass ich damit abzüglich einiger veralteter Metaphern („binärer Hexentanz“) als blog-Abschluß gut bestehen kann:
PROLOG
Berlin – verdoppelter Bodensatz
als Sinnbild der flache Potzeplatz
und das weltberühmte Tor.
Da stand einst die Mauer vor,
oder dahinter je nach Perspektive
Frontstadt hieß die Direktive
Nun will – gedoppelt doch zusammen –
sich die Stadt zur Weltstadt rammen,
sie will sich putzen,
will „Chancen nutzen“,
die „neue Gründerzeit“ soll Vergangenes stutzen.
Krummschief wird der Bruch geschient
nur – die Stadt ist noch vermient.
Ich wandel daher
scheinbar als Flaneur
doch meine wahre Kunst ist
ähnlich dem Mineur.
Freilich ich arbeite mit Knalleffekt
nur daß ihr euch nicht erschreckt.
und manchmal – auch wenn ich es gar nicht darf –
mach erst ich die Mienen scharf.
Berlin beim Zeitungslesen
Berlin im Schmutz
das war einmal
nun kommt ein neuer Putz
Stadtplanung als Fanal
und Diskussionen allerorten
man spart nicht mit großen Worten.
Skallpelle hier Prothesen da
und am Kiosk tja da sah
ich gar ein Glanzdruckmagazin –
Titel Programm: Zukunft Berlin
erscheint jeden geraden Monat.
Jeder Tump, der Pläne hat
darf sie dort zum besten geben
darf Papphäuser basteln und kleben:
Berlin wird wieder aufgebaut!
Danach lasst uns alle streben
brüderlich und doppelt laut.
Bist nun Stadt der Kräne,
denn zu Kränen werden die Pläne:
Und die Pläne nehmen kein Ende
– sie versprechen Dividende.
Da werden Kulissen geschoben,
da werden Träume wahr.
Historische Schätze gehoben
durch Expertenkommentar.
Der schrapnellierte Berliner Dom
erstrahlt im Hohenzollernglanz.
Er war verfallen, sozialistisch versaut
nun ist er wieder ganz.
Die Restauratoren schufften noch strammer,
denn auch auf der Museumsinsel
werkeln Zirkel und Hammer
und ein feiner Pinsel.
Gegenüber – man glaubt es kaum
ein Schloß aus reinem Plastesaum.
Es soll erneuern,
soll befeuern
den alten Preußentraum.
Und dafür braucht man Raum.
Den wollen auch andere haben
und denken an besondere Gaben:
Sie bieten hier ein Stadthaus an
in dem der Bürger nebst Tochter und Sohn
– na… was weiß ich so machen kann –
ne Nutzung findet sich schon.
Ist schon ein wahres Trauerspiel
und bin noch nicht einmal am Ziel
weiter geht es unter den Linden
da wird sich alles weitere finden.
Da hockt in neuer Wachsamkeit
eine aufgeputzte Mutterfigur.
Offizielle bewältigen Vergangenheit
und machen ihren Schwur:
Dann spielen Kränze und Trauermarsch
auf zu starren Minen
Brust heraus und auch den Arsch
– mal schnell den Toten dienen.
Das alles vor Käthes Mutterfigur
ach diese miespackige Nomenklatur
Lohnen die ein Wort?
Nein! – also weiter, fort.
Richtung Tor da wird Zement gemischt,
die Friedrichstraße ist grad eingeschalt.
Wird später weltoffen aufgetisch.
Und zwar noch unbezahlt
aber mit Ausblick auf goldene Läufte:
Die Zwanziger nämlich sollens diesmal sein.
Damals als Kabarett sich hier häufte
und so wirs wieder – Treten Sie ein.
Der Beispiele sind Legionen:
Das Spiel mit Traditionen
ist DIE Gelegenheit
für eine neue Zeit.
Ergo kochen engagierte Grüppchen
ihre tradiertengagierten Süppchen
mit Würstchen aus raunenden Zeiten
und Fettaugen im alten Glanz.
Und Gewürzstandbildern, die reiten
zum binären Hexentanz.
Diese Erbauungsriten
ziehen Publikum magnetisch an.
Das muß man schon bieten
sagt bloß da ist was Böses dran…
(Mai 1994)